Willst Du mich etwa projizieren?
Blog über Gott und die Welt
Mir jedenfalls geben diese Begriffe seit jeher große Rätsel auf.
Angenommen, es verletzt Dich jemand mit einer der gefährlichsten Waffen der Welt. Seiner spitzen Zunge. Er oder sie feuert ein Arsenal an zerschmetternden Worten auf Dich ab oder setzt einen vielleicht noch wirksameren gezielten Treffer mitten in Dein Herz. Du reagierst darauf und feuerst etwas ebenso Verletzendes zurück. Daraufhin fragt Dich Dein Gegenüber mit ernsthaftem Erstaunen:
„Wieso regst Du Dich so auf? Ich habe gar nichts Böses gesagt und war auch nicht verletzend. Das bildest Du dir nur ein.
Im Schlimmsten Fall schaukelt sich das Ganze dann immer weiter hoch. Und schon haben wir ein lähmendes Schachmatt der Könige spiritueller Wortkeulen.
Projektion und Resonanz stehen sich in diesen tragischen Fall mit glühenden Augen gegenüber und haben sich nichts mehr zu sagen.
Die andere ungute Variante ist, dass einer der Beiden von dem verbalen Angriff so schwer getroffen wurde, dass er verletzt und an sich zweifelnd innerlich zu Boden geht.
Beide Varianten sind furchtbar traurig. So wichtige und wahrhaftige Begriffe werden tagtäglich in absurder Weise missbraucht und mit Füßen getreten. Wenn ich es könnte, würde ich sie aus dem allgemeinen spirituellen Wortschatz streichen lassen, sie in eine goldene Truhe legen und nur herausholen, wenn sie wirklich als das erkannt werden, was sie sind:
Zum Beispiel bin ich ein echter Kontrollseismograph. Ich wuchs mit einem Vater auf, der jedes Wort, das ich von mir gab, kontrollierte und korrigierte. Keiner meiner Sätze entging seiner Beurteilung. Oder er stellte sich mit einer Stoppuhr hinter mich, um laut die Sekunden abzuzählen, die mir noch blieben, bis ich im Bett sein musste.
Wenn mich also irgendjemand versucht zu kontrollieren, geraten alle meine Systeme in Alarmbereitschaft.
Andere hingegen juckt dieselbe Situation vielleicht nur wenig. Sie können es einfach abgleiten lassen. Bis ich gelernt habe, einzuschätzen, wann meine eigenen Reaktionsmuster angebracht sind und wann nicht, sind Jahrzehnte vergangen. Davor hatte ich manchmal die aggressive Reaktionsvariante gewählt, meistens aber die des verletzten Rückzugs. Ich saß also in meinem inneren Gefängnis und grübelte darüber nach, was ich schon wieder falsch gemacht hatte.
Und jetzt? Was tue ich jetzt? Ich versuche mit mehr oder weniger großem Erfolg eine dritte Variante auszuprobieren: Nämlich die, „Aua“ zu sagen, wenn einem jemand auf den Fuß tritt, aber nicht zurück zu treten.
Die ganz edle Variante, die Jesus angewandt hat, indem er von dem Schlag ins Gesicht vollkommen unberührt blieb und auch noch die andere Wange hinhielt, um sein Gegenüber von seiner Wut und seinem Schmerz zu befreien, die ist mir momentan noch viel zu hoch. Aber man sollte sich ja Ziele setzen. Je höher, desto besser. Ich übe weiter …